Von Florian Nöll

Die GroKo ist nicht gerade für gutes Timing bekannt – das hat sie am Montagnachmittag noch einmal unter Beweis gestellt, als ein nachgebessertes Fachkräfteeinwanderungsgesetz den Kabinettstisch passierte – zusammen mit sieben anderen Hängepartien dieser Legislaturperiode. Ziemlich genau einen Monat nachdem die Gesetzesvorlage, die dem Land dabei helfen soll, Hunderttausende unbesetzter Arbeitsplätze mit Mitarbeitern aus dem Ausland zu besetzen, im Bundestag durchgefallen war, geht nun der Änderungsantrag ins Parlament.

Wachstumsbremse statt Wettbewerbsvorteil

Schlechtes Timing ist es, weil die dringend benötigte Regelung, nach der Fachkräfte ins Land gerufen werden sollen, längst überfällig ist. Deutschland, nach demografischen Maßstäben ein „faktisches Einwanderungsland“, braucht langfristig eine „dauerhafte und befristete Zuwanderung für den Arbeitsmarkt, so wie andere Länder auch“. Das Zitat entstammt dem Bericht der unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, den deren Vorsitzende, Rita Süssmuth, vor knapp 18 Jahren der damaligen rot-grünen Koalition vorgelegt hatte. So lange laborieren wir an Großprojekten. Wer damals – 2001 – ein Schulkind war, könnte heute seine Ausbildung abgeschlossen haben.

Die Crux liegt im Halbsatz „…wie andere Länder auch“! Der internationale Wettbewerb um Hochqualifizierte und Fachkräfte ist längst im vollen Gange. Praktisch alle industrialisierten Länder haben das gleiche demografische Grundphänomen der allmählich sinkenden Bevölkerungszahl. Und die Maßnahmen zum Gegensteuern sind auch überall ähnlich: mehr Arbeitsgänge automatisieren und mehr Köpfe und Hände ins Land holen.

Dieser Wettbewerb wird nicht durch ein missmutiges Gesetzgebungsverfahren gewonnen. Zwar soll nun für Nichtakademiker mit qualifizierter Berufsausbildung die Beschränkung auf Mängelberufe entfallen, aber inzwischen gibt es ja kaum noch ein Jobangebot, bei dem es nicht an Bewerbern mangelt. Deshalb können IT-Fachkräfte mit der entsprechenden Berufserfahrung sogar ohne formalen Abschluss ins Land – vorausgesetzt, sie erzielen ein Jahresgehalt von über 50.000 Euro. Ähnliche Schwellenwerte gibt es bei Menschen älter als 45 Jahre: Sie müssen ein Mindestgehalt und/oder eine ausreichende Altersversorgung nachweisen. Schön ist auch, dass beruflich Qualifizierte für sechs Monate auf Arbeitssuche nach Deutschland kommen können. Unschön ist hingegen, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz gleich zusammen mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ verabschiedet wird. So wird der Eindruck im Ausland gleich wieder verdüstert.

Willkommenskultur als Erfolgsrezept

Der Ruf nach einem „Einladungsgesetz“, nach Rahmenbedingungen, die den Standort Deutschland für Ausländer*innen attraktiv machen und im internationalen Vergleich besser stellen, liegt bereits in der Gründungs-DNA des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. vor sechs Jahren. Auch Startups stehen im internationalen Wettbewerb bei der Suche nach Mitarbeitern. Außerdem ist es eine Auszeichnung und ein Erfolgsrezept für einen Standort, wenn er internationale Gründer*innen anzieht. Sergey, Brin und Elon sind mit ihren Biografien keine Ausnahmen sondern längst der Normalfall im Silicon Valley.

Mit dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump haben sich im Jahr 2016 zwei der stärksten Konkurrenten im Kampf um internationale Talente selbst geschwächt. Statt die Gelegenheit zu nutzen, lies die deutsche Politik weitere Jahre ins Land gehen. Die Niederlande haben das „Startup Visa“ und Frankreich das „French Tech Visa“ geschaffen und damit gutes Timing bewiesen. Damit sind uns beide Nachbarn schon wieder einen Schritt voraus.

Besser ein spätes und missmutiges Fachkräfteeinwanderungsgesetz als keins

Deshalb ist es gut, wenn dieser Änderungsantrag und damit die Gesetzesvorlage den Bundestag passiert. Der auf fünf Jahre angelegte Modellversuch, wonach eine „zentrale Servicestelle für anerkennungssuchende Fachkräfte im Ausland“ errichtet werden soll, muss nach Inkrafttreten des Gesetzes zügig umgesetzt werden. Noch ist die Domain zentraleservicestellefueranerkennungssuchendefachkraefteimausland.de nicht registriert. Oder ganz ohne Ironie: Politischer Wille muss in konstruktives Verwaltungshandeln umgesetzt werden. Behörden wie in Berlin, die sich weigern in englischer Sprache zu kommunizieren, darf es in Zukunft nicht mehr geben. Hier braucht es eine echte Willkommenskultur.

Nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung besteht in Deutschland ein jährlicher Bedarf an 150.000 qualifizierten Fachkräften. Ihr Fehlen bedeutet schon jetzt eine Wachstumsbremse für die deutsche Wirtschaft. Dass es nun Startups wie Mittelständlern, die anders als die global tätigen Konzerne, geringere Spielräume haben, künftig größere Chancen haben, Talente aus aller Welt anzuwerben, ist ein positives Signal. Es geht doch!

Über den Autor
Florian Nöll ist Unternehmer aus Überzeugung. Als Experte für Startups und die digitale Wirtschaft ist er Dolmetscher zwischen innovativen Unternehmensgründungen und der Politik.

Buchautor und Kolumnist Nöll engagiert sich seit mehr als 10 Jahren in der Gründungsförderung. 2012 gründete er aus der Idee heraus, ein politisches Sprachrohr der Startups in Deutschland zu etablieren, den Bundesverband Deutsche Startups e.V mit, dessen Vorsitzender er seitdem ist.

INSIDE ist das Magazin des Bundesverbandes Deutsche Startups e.V. (Startup-Verband). Der Startup-Verband ist Repräsentant und Stimme der Startups in Deutschland und engagiert sich für gründerfreundliche Rahmenbedingungen. Im Dialog mit Entscheidungsträgern in der Politik erarbeitet er Vorschläge, die eine Kultur der Selbstständigkeit fördern und die Hürden für Unternehmensgründungen senken. Der Startup-Verband wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Startup-Mentalität in die Gesellschaft. Als Netzwerk verbindet er Gründer, Startups und deren Freunde miteinander.

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